„Erfrischend lebhaft“ war eine Aussage, die im Nachgang zum offiziellen Programm des Parlamentarischen Abends häufig aus den Reihen der rund 200 Gäste zu hören war. Und in der Tat: Unter der Moderation von Journalistin Sabine Dahl (RBB) hielten sich die Talkgäste Marija Kolak (Präsidentin BVR), Michael Kellner (Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Carsten Linnemann (CDU-Generalsekretär) nicht lange mit Vorgeplänkel auf. „Es fehlt ein strategisches Zielbild 2030 für unser Land mit einem abgestimmten Fahrplan“, gab Kolak die Richtung vor.
Es waren die Themen des wenige Stunden zuvor veröffentlichten ersten Mittelstandsmonitors der AG Mittelstand, die auch den vom Deutschen Raiffeisenverband (DRV) am Pariser Platz organisierten Parlamentarischen Abend bestimmten: international wettbewerbsfähige Energiekosten, Abbau der überbordenden Bürokratie, Arbeitskräftemangel, Digitalisierung, zukunftssichere Infrastruktur.
„Bei den Energiekosten haben wir viel erreicht für die Unternehmen“, stellte Kellner heraus und verwies auf eine spürbare Absenkung der Steuer- und Abgabelast. „Wir wollen, dass wir ein starkes Industrieland bleiben“, betonte der Beauftragte der Bundesregierung für Mittelstand. Gleichzeitig sei Deutschland „auf Kurs bei den Klimazielen. Wir bringen Ökologie und Ökonomie übereinander“, so Kellner. Mit Blick auf das Wachstumschancengesetz warb er um Zustimmung. „Es ist ein Baustein, um die Wirtschaft in Deutschland zu stärken.“
Linnemann bezeichnete die aktuelle wirtschaftliche Situation als ernst: „Es ist die erste Rezession, in die wir schlecht reingehen ohne dass wir besser wieder herauskommen werden.“ Der Ampel warf er vor, in den letzten Jahren „alles mit Geld zugeschüttet zu haben“. Dabei müsse vielmehr Arbeit wieder positiv konnotiert sein. Steuerfreie Überstunden und eine Aktivrente, die bis zu 2000 Euro steuerfreien Zuverdienst für Rentner monatlich ermöglicht, versprach Linnemann, wenn die Union wieder in Regierungsverantwortung kommen sollte. Grundsätzlich plädierte er dafür, „einfach mal zu machen“.
Einigkeit herrschte bezüglich der Notwendigkeit, den Mittelstand bei der Bürokratie zu entlasten. „Hierzu braucht es den Mut, Strukturen auch brachial aufzubrechen“, betonte Linnemann. Bereits bei seiner Begrüßung hatte DRV-Präsident Franz-Josef Holzenkamp die Bürokratielast als massives Problem kritisiert und die aktuelle EU-Lieferketten-Richtlinie beispielhaft genannt. „Hier droht ein Bürokratiemonster.“ Das Bürokratieentlastungsgesetz mit seinem Entlastungsvolumen von 900 Millionen Euro ist für Holzenkamp angesichts jährlicher Gesamt-Bürokratiekosten für die deutsche Wirtschaft von 65 Milliarden Euro nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Wir sollten nicht darüber sprechen, was wir entlasten können, sondern was wir von vornherein lassen können“, so der DRV-Präsident. Dafür gab‘s Applaus vom Mittelstand.
Hinsichtlich der notwendigen politischen Rahmenbedingungen für die Agrar- und Ernährungsbranche sieht Holzenkamp kein Erkenntnis- sondern Umsetzungsproblem. „Viele Vorschläge, wie die Transformation gelingen kann, liegen seit langem auf dem Tisch. Doch nichts passiert. Wir dürfen die Unternehmen und Menschen nicht überfordern, sonst verlieren wir sie auf dem Weg.“
Resümee nach dem etwa einstündigen Programm: Genügend Gesprächsstoff um bei Wasser, Wein und Berliner Bulette weiter zu diskutieren.
Fotos: Christian Thiel